Was ist ein Kostenerstattungsverfahren?

Es besteht Behandlungsbedarf, aber du bekommst einfach nirgends einen zeitnahen Therapieplatz? In der Privatsprechstunde wären Termine frei, aber du bist nicht privatversichert? Dann besteht unter Umständen die Möglichkeit, dennoch diese freien Termine in Anspruch nehmen zu dürfen und die Kosten (ggf. anteilig) von der gesetzlichen Kasse erstattet zu bekommen. In diesem Artikel gehe ich näher auf das sogenannte Kostenerstattungsverfahren ein.

Inhaltsübersicht

Jede gesetzlich versicherte Person hat generell einen Anspruch auf eine angemessene medizinische Versorgung. Dazu gehört auch die Versorgung mit dem Heilmittel Ergotherapie, sofern die Voraussetzungen dafür gegeben sind.

Durch den steigenden Fachkräftemangel sind jedoch die Therapieplätze rar, weshalb es zu monatelangen Wartezeiten kommen kann – insbesondere bei Nachmittagsterminen oder auch Hausbesuchsterminen.

Wenn du keinen zeitnahen Therapieplatz  in deiner Umgebung finden kannst, besteht unter Umständen die Möglichkeit, Therapiezeiten einer Privatsprechstunde in Anspruch zu nehmen. Oftmals gibt es hier kürzere Wartezeiten und schnellere Termine.

Dies ist tatsächlich auch in meiner Praxis so, denn wir sind schwerpunktmäßig eine Privatpraxis, halten aber für die Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen noch 25 Stunden frei. Hier kannst du nachlesen, wie es zu dieser Entwicklung gekommen ist. 

Da für diese gesetzliche Sprechstunde eine längere Wartezeit besteht, nutzen einige Patient:innen die Privatsprechstunden, um die Wartezeit auf einen Platz in der gesetzlichen Sprechstunde zu überbrücken.

Versicherte der gesetzlichen Kassen haben gemäß § 13 Absatz 3a SGB V (Sozialgesetzbuch) unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, die dadurch entstandenen Kosten (teil-)erstattet zu bekommen, wenn keine zeitnahe Behandlung in einer Kassenpraxis im Umfeld möglich ist – sie aber zeitnah eine Therapie in Anspruch nehmen müssen.

Die AOK schreibt auf ihrer Internetseite: “Die bisherige Beratungsverpflichtung der Krankenkasse wurde durch die Informationspflicht des Leistungserbringers ersetzt, der auch darüber zu informieren hat, dass die von der Krankenkasse nicht übernommenen Kosten vom Versicherten zu tragen sind.”

Ich habe mich daher als Leistungserbringerin nach bestem Wissen und Gewissen bemüht, hier die wichtigsten Informationen zusammenzutragen. 

Daten und Fakten habe ich dem Bundesministeriums für Gesundheit, den Internetseiten einiger Krankenkassen sowie dem VdK entnommen. Zusätzlich berichte ich hier von Erfahrungswerten durch Patient:innen, die bei mir im Rahmen des Kostenerstattungsverfahrens in Behandlung sind. Alle Infos ohne Gewähr.

Wie funktioniert ein Kostenerstattungsverfahren in der Ergotherapie?

Für die Erstattung von Kosten einer privat abzurechnenden Ergotherapie gibt es verschiedene Möglichkeiten und Voraussetzungen: 

  • Kostenerstattung bei Systemversagen (Versorgungsnotstand)
  • Kostenerstattung als freiwillige Wahlleistung der Versicherten

Kostenerstattung bei Versorgungsnotstand bzw. Systemversagen

Das Portal Betanet schreibt hierzu:

“Eine Kostenerstattung ist auch in folgenden Ausnahmefällen möglich:

  • Eine notwendige Behandlung kann aus Mangel im Leistungssystem (Systemversagen) nicht in der gebotenen Zeit zur Verfügung gestellt werden, z. B. bei unzumutbar langen Wartezeiten oder mehrfachen, erfolglosen Versuchen einen geeigneten Therapieplatz zu finden.
  • Die notwendige Behandlung wurde von der Krankenkasse rechtswidrig abgelehnt.” (Quelle: Betanet)

Und tatsächlich besteht bereits seit Jahren ein Versorgungsnotstand in der Ergotherapie.

Bisher war es so, dass die Patient:innen auf den Wartelisten der Therapiepraxen verstummten, denn sie haben keine wirkliche Lobby.

Die Krankenkassen haben also überhaupt kein realistisches Bild über den wirklichen Versorgungsnotstand – denn diese Patient:innen erscheinen dort nie in irgendeiner Statistik und die Länge von Wartelisten wird nicht abgefragt.

Allein schon aus diesem Grund erachte ich es als wichtig, dass jeder Mensch, der einen Behandlungsbedarf hat und aber keine ärztliche oder therapeutische Versorgung erhält, den Bedarf aktiv bei der Krankenkasse anmeldet und die Kasse stärker in die Pflicht nimmt! Wenn du also bei deiner Suche nach einem Therapieplatz vor Ort nicht weiterkommst, dann solltest du zu allererst deine Krankenkasse auffordern, dir einen zeitnahen Therapieplatz zu organisieren! 

Falls das der Krankenkasse aufgrund des Systemversagens ebenfalls nicht gelingt, hast du in der Regel einen gesetzlichen Anspruch auf Kostenübernahme einer Privatbehandlung – und zwar so lange, bis ein Therapieplatz in einer gesetzlichen Sprechstunde frei ist.

Voraussetzung ist, dass eine Behandlung notwendig ist und kein Therapieplatz in zumutbarer Zeit und Entfernung zur Verfügung steht. Weiter unten beschreibe ich, wie du vorgehen kannst.

Kostenerstattung als Wahlleistung

Das Portal Betanet schreibt hierzu: “Gesetzlich Krankenversicherte können anstelle der Sach- oder Dienstleistungen auch die Kostenerstattung wählen. (…) Der Versicherte muss seine Krankenkasse vor Inanspruchnahme der medizinischen Leistung über seine Wahl informieren. Er ist dann 3 Monate daran gebunden.” (Quelle: Betanet)

Die AOK hat das Verfahren hier beschrieben: https://www.aok.de/pp/lexikon/kostenerstattung/

Beim Wahlverfahren trittst du in der Therapiepraxis als Selbstzahler:in auf (erhältst also wie Privatversicherte auch die Rechnung und musst sie überweisen), bekommst aber von deiner gesetzlichen Krankenkasse einen gewissen Betrag erstattet, so dass du nicht 100% der Privatpreise zahlen musst.

Dieses Wahlverfahren kannst du frei wählen und also auch dann nutzen, wenn du eigentlich sogar einen Therapieplatz in der gesetzlichen Sprechstunde bekommen hättest.

Manche meiner Patient:innen wollen z.B. explizit nur zu mir als Therapeutin kommen und nicht zu einer Mitarbeiterin (oder anderen Praxis). Das Wahlrecht der Kostenerstattung sorgt also dafür, dass in dem Fall die Krankenkasse einen Teilbetrag erstattet.

Formulare

Der bundesweite Verband der Krankenkassen hat versucht, die wichtigsten Infos zur Wahlleistung “Kostenerstattung” auf die jeweiligen Krankenkassen bezogen zu hinterlegen. Die Informationen können eine erste Orientierung bieten. Klicke auf den nachfolgenden Link, der auf die Homepage des GKV-SV führt:

Zum Antrag auf Kostenerstattung über den Kassennavigator des GKV-Spitzenverbandes

In 10 Schritten zum Kostenerstattungsverfahren in der Ergotherapie

  1. Nimm Kontakt mit deiner Krankenkasse auf und beschreibe deine Situation. Überwiegend ist es aufgrund von Fachkräftemangel folgende:  Es besteht eine Diagnose, eine medizinische Indikation für eine Therapie und ein Rezept liegt vor, aber in deinem Umfeld gibt es keine verfügbaren Therapieplätze für gesetzlich Versicherte. Du brauchst also jetzt Hilfe bei der Vermittlung eines zeitnahen Therapieplatzes.
  2. Bitte die Krankenkasse, dir zeitnah einen Therapietermin zu organisieren, wenn du selbst vor Ort nicht weiterkommst. 

  3. Informiere die Krankenkasse ebenfalls, falls dir schon bekannt ist, dass es freie Kapazitäten in einer Privatsprechstunde gäbe. So kann abgewogen werden, ob ein “Anbehandeln” in einer Privatsprechstunde eine Option wäre, bis ein regulärer Platz frei wird. 

  4. Kann deine Krankenkasse dir keinen Therapieplatz in einer Kassenpraxis vermitteln, kannst du sie um die Vereinbarung eines Kostenerstattungsverfahrens bitten, um keine Zeit zu verlieren und möglichst schnell mit der Behandlung zu beginnen. Denn selbst 1-5 Termine helfen oft schon mal weiter und mit den Informationen aus einer zeitnahen Kurzzeittherapie lassen sich Wartezeiten auf einen Platz in der gesetzlichen Sprechstunde schneller überbrücken. Gerade auch bei Kindern ist wichtig, möglichst zeitnah Ergebnisse von Entwicklungstests zu erhalten.

  5. Wenn die Bedingungen im Einzelfall schriftlich geklärt sind, vereinbarst du Therapietermine innerhalb der Zeitfenster einer Privatsprechstunde. Du trittst dann rechtlich als Selbstzahler:in auf. Beachte, dass du auf jeden Fall eine ärztliche Verordnung/ ein Rezept benötigst. 

  6. Du bekommst in der Regel von der Therapiepraxis eine Honorarvereinbarung, so dass du über die genauen Kosten der Behandlung im Vorfeld informiert bist. 

  7. Die Rechnung der Therapiepraxis geht in der Regel nicht an deine Krankenkasse, sondern an dich. Du trittst also rein rechtlich als Vertragspartner:in auf – wie es auch bei Privatversicherten der Fall ist.

  8. Bezahle die Rechnung der Therapiepraxis fristgemäß. Du bist also zunächst Selbstzahler:in.

  9. Reiche deiner Krankenkasse einen Antrag auf Erstattung der therapiebedingten Rechnungsbeträge ein. Füge eine Kopie der Originalrechnung bei und belege dadurch die Höhe der dir entstandenen Aufwendungen. Lege ebenfalls eine Kopie der ärztlichen Verordnung (Rezept) bei, um die medizinische Notwendigkeit zu belegen. 

  10. Halte dein Konto im Blick und überprüfe, ob der Betrag auch in der vereinbarten Höhe auf dein Konto erstattet wurde.  

An wen muss ich mich bei meiner Krankenkasse wenden?

Schau einmal auf die Rückseite deiner Versichertenkarte. In der Regel solltest du dort eine Nummer der zentralen Hotline deiner Krankenkasse finden. Du findest diese in der Regel auch auf der Homepage der Krankenversicherung oder auch hier.

Eine weitere Möglichkeit ist die schriftliche Kontaktaufnahme per Brief, Email oder über das Kontaktformular auf der Homepage deiner Krankenkasse.

Ich möchte dir in jedem Fall raten, alle Schritte gut zu dokumentieren und dich vor allem möglichst zeitnah über das Prozedere zu informieren, damit keine wertvolle Zeit vergeht. 

Wie kann ich nachweisen, dass es im Umfeld keinen Platz in einer Kassenpraxis gibt?

Erstelle dir eine Liste mit den Therapiepraxen, die es in deiner Umgebung gibt. Stelle an jede Praxis eine Therapieplatzanfrage.

Dokumentiere die Antworten, die du bekommst. Idealerweise lässt du dir schriftlich bestätigen, wenn die Praxis keine freien Termine innerhalb der nächsten Zeit anbieten kann und wie lange in etwa mit Wartezeiten zu rechnen ist.

Solltest du bei mir auf der Warteliste stehen und ein Kostenerstattungsverfahren anstreben, dann gib mir bitte Bescheid. Ich stelle gerne kostenfrei eine entsprechende Bescheinigung aus. 

Die Chancen auf ein Kostenerstattungsverfahren steigen,

  • je dringlicher die medizinische Notwenigkeit ist (lasse dir dies ggf. ärztlicherseits bescheinigen)
  • je mehr Praxen du nachweislich, aber erfolglos kontaktiert hast
  • je länger du bereits auf einen Therapieplatz wartest

Wird der komplette Betrag im Rahmen des Kostenerstattungsverfahrens übernommen?

Die Verbraucherzentrale schreibt dazu:

  • Für gesetzlich Krankenversicherte gilt erst einmal das so genannte Sachleistungsprinzip: Bei ärztlichen Leistungen oder Leistungen anderer Gesundheitsberufe übernimmt die Krankenkasse direkt die Kosten für ihre Versicherten.
  • Sie können bei Ihrer gesetzlichen Krankenversicherung aber stattdessen auch eine Kostenerstattung wählen: Dann erhalten sie vom Arzt oder Krankenhaus eine Rechnung, die Sie zunächst bezahlen und dann zur Erstattung bei ihrer Krankenversicherung einreichen.
  • Dabei gilt Vorsicht: Die gesetzliche Krankenversicherung erstattet nicht alle Kosten, sondern übernimmt in der Regel nur die Kosten, die auch nach dem Sachleistungsprinzip entstehen würden. Darüber hinausgehende Rechnungsbeträge werden nicht erstattet.
  • Es besteht für den Versicherten dann das Risiko, dass er unter Umständen einen höheren Restbetrag nicht erstattet bekommt.

Quelle: Verbraucherzentrale 

Informationen zum Kostenerstattungsverfahren auf der Internetseite des Bundesministeriums für Gesundheit findest du hier: Infos des BMG zum Kostenetstattungsverfahren

Besonderheit im Versorgungsnotstand

Denn von dem von der Verbraucherzentrale beschriebene Punkt, dass die gesetzliche Krankenversicherung nur einen Anteil zahlen würde, kann die Kasse im Versorgungsnotstand abweichen.

Für dich bedeutet das :

Liegt ein dringender Behandlungsbedarf vor (ärztliches Rezept) und hast du in deiner Region überhaupt keine Chance, das Sachleistungsprinzip in Anspruch zu nehmen (weil es schlicht keine freien Therapieplätze gibt), dann kannst du auch 100% Kostenerstattung beantragen! Ob dieses bewilligt wird ist nach meiner Erfahrung eine Einzelfallentscheidung deiner Kasse. In jedem Fall gilt: Erkundige dich immer im Vorfeld der Behandlung nach den genauen Bedingungen!

Was, wenn die Krankenkasse kein Kostenerstattungsverfahren genehmigt?

Wenn die Krankenkasse dir keine Genehmigung erteilt, die Therapie innerhalb von Privatsprechstunden wahrzunehmen, obwohl nachweislich ein Therapiebedarf besteht und bei erhöhter Wartezeit mit Folgeschäden zu rechnen ist würde ich dir empfehlen, einen Einspruch einzulegen. Das ist als Einzelperson möglich, du kannst dich aber auch von den Stellen, die ich im nächsten Absatz erwähne, unterstützen lassen. 

Wenn der Widerspruch keinen Erfolg bringt, bleibt dir noch der rechtlichen Schritt.

Es ist möglich, das Kostenerstattungsverfahren einzuklagen, wenn die Krankenkasse den Antrag auf Erstattung von Behandlungskosten ablehnt. Der Weg hierfür führt über das Sozialgericht, bei dem du einen Antrag auf Überprüfung des ablehnenden Bescheids der Krankenkasse stellen muss. In diesem Fall ist es empfehlenswert, sich von einem Anwalt für Sozialrecht oder einem Patientenberater unterstützen zu lassen.

Wer kann mich bei dem Prozedere unterstützen?

Es gibt bestimmte Stellen, an die du dich wenden kannst: 

  1. Sozialverband VDK
  2. Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD)

Ich möchte dir raten, möglichst frühzeitig Unterstützung zu suchen und nicht zu lange zu warten, bevor du den Antrag auf Kostenerstattungsverfahren stellt oder ggf. vor Gericht gehst.

Ich habe die Inhalte nach bestem Wissen erstellt und übernehme aber keine Garantie für die Richtigkeit. Du solltest dich auf jeden Fall immer im Vorfeld einer kostenpflichtigen Behandlung über die genauen Bedingungen erkundigen. 

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